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Von: Marc Hairapetian
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Philosophische Reflexion über das Schicksal: Woody Allens 50. Film ist tatsächlich „Ein Glücksfall“. Sein französischer Schauspieler Melvil Poupaud huldigt ihm im Gespräch.
Frankfurt – „Woody Allens Unglück in den USA war mein Glück!“, sagt die französische Schauspielerin Lou de Laâge, Tochter eines Journalisten und einer Malerin, über „Ein Glücksfall“ (Originaltitel „Coup de Chance“) im Interview, „Er wäre sonst nie nach Frankreich gekommen und hätte mir nicht die Rolle angeboten“.
Die mittlerweile 88-jährige lebende Legende als Komiker („Was gibt’s Neues, Pussy?“, 1965; „Woody, der Unglücksrabe“, 1969), aber auch seriöser Filmemacher („Manhattan“, 1979, „Hannah und ihre Schwestern“,1986) bekommt nach den durch seine Ex-Frau, „Rosemaries Baby“-Star Mia Farrow, permanent auftauchenden Vorwürfen die gemeinsame Adoptivtochter Dylan als Kind missbraucht zu haben, was nie eindeutig bewiesen werden konnte, keinen Film in den USA mehr finanziert.
Vom Drehen kann er dennoch nicht lassen – zum Glück. Der deutsche Titel seines 50. Films ist Programm: Die in Frankreich entstandene, charmante Liebeskomödie mit leichten Thriller-Elementen am Ende ist sein bester Film seit der RomCom „Midnight in Paris“, für die Heywood „Woody“ Allen (eigentlich Allan Stewart Königsberg) 2012 den Drehbuch-Oscar erhielt.
Woody Allen dreht seinen 50. Film: „Ein Glücksfall“
„Der Zufall ist der Schnittpunkt mehrerer Notwendigkeiten“, wusste schon der politische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec (1909 – 1966): Fanny (Lou de Laâge), die in einem Pariser Auktionshaus arbeitet, trifft eines schönen Tages auf der Straße den Romanautoren Alain (Niels Schneider) wieder. Als sie noch gemeinsam eine Schule in New York besuchten, war er in sie verliebt, ohne, dass sie wirklich zusammenkamen. Jetzt ist Fanny mit dem sehr wohlhabenden Steuervermeidungsspezialisten Jean (Melvil Poupaud) in zweiter Ehe verheiratet.
Doch es kommt, wie es vor allem in Paris kommen muss: Fanny und Alain starten eine Affäre. Und irgendwann sinniert sie sogar darüber, ihren Mann für den Lover zu verlassen. Doch sie hat auch Angst vor der Rache des gehörnten Ehemannes. Denn es geht das böse Gerücht herum, dass dieser deshalb so reich ist, weil er einst seinen Geschäftspartner gewaltsam verschwinden ließ. Vielleicht waren es aber doch Marsmenschen, was einer seiner Freunde ernsthaft behauptet. Wie dem auch sei: Fannys Mutter Camille Moreau (Valérie Lemercier) verdächtigt Jean und lässt sich damit auf eine gefährliche Ermittlung ein.
Es ist diese Tragikomödie, die das Genie von Woody Allen ausmacht. Man lacht bei ihm, ist aber auch bewegt, wie einst bei Charlie Chaplin oder Buster Keaton.
Die mit leichter Hand inszenierte, britisch-französische Koproduktion, zu der Woody Allen natürlich als echter „Auteur“ auch wieder das Skript verfasste, hatte seine Weltpremiere im letzten September bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Ein gut aufgelegtes Darstellerensemble bis in kleinste Nebenrollen („Farinelli“-Geliebte Elsa Zylberstein!) witzige Dialoge und die wundervolle Fotografie des inzwischen 83-jährigen Kameramannes Vittorio Storaro („Der letzte Tango in Paris“, 1972; „Apocalypse Now“, 1979), der die herbstliche Seine-Metropole in warm leuchtende Farben taucht, aus denen das Licht der goldenen Blätter langsam schwindet, gehen eine unschlagbare Allianz ein.
Allen unterfordert das Publikum geistig nicht, aber er überfordert es auch keineswegs, was an dieser Stelle durchaus als Kompliment zu verstehen ist. Kollege Christoph Petersen von der Online-Plattform Filmstarts hat vollkommen recht, wenn er „eine wunderbar leichtgängige Gesellschafts-Komödie mit einer erlesen-makabren Note im Abgang“ in „Ein Glücksfall“ sieht.
Ein Glücksfall | |
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Originaltitel | Coup de chance |
Länge | 96 Minuten |
Altersfreigabe | FSK 12 |
Regie/Drehbuch | Woody Allen |
Besetzung | Lou de Laâge, Valérie Lemercier, Melvil Poupaud, Niels Schneider |
Melvil Poupaud spricht über Woody Allens neuen Film „Ein Glücksfall“
Melvil Poupaud, der den Antagonisten als besitzergreifenden Finanzjongleur („Ich helfe Reichen, noch reicher zu werden“) mit geradezu schmierigen Selbstbewusstsein ausstattet, outet sich im Gespräch: „Ich war schon immer ein Fan von Woody Allen. Ich habe seine Filme zum ersten Mal auf VHS-Kassetten zusammen mit meiner Mutter gesehen, die eine große Bewunderin von ihm war. Einige seiner Filme gehören meiner Meinung nach zu den Meisterwerken der Kinogeschichte. Unter die komischsten fallen mir ‚Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten‘ und ‚Zelig‘ ein. Bei den Tragikomödien ‚Der Stadtneurotiker‘ und ‚Stardust Memories‘. Mit ‚Ein Glücksfall‘ bewegen wir uns zwischen Thriller und Farce. Woody Allen kommt ‚Match Point‘ nahe, doch unser Film ist nicht so greifbar.“ Wie meint das Poupaud, inzwischen auch Autor und Regisseur („Melvil“, 2006), der mit Angelina Jolie („By the Sea“, 2015) oder Roman Polański („Intrige“, 2019) filmte und in François Ozons „Gelobt sei Gott“ (2018) selbst ein erwachsen gewordenes Missbrauchsopfer innerhalb der katholischen Kirche eindrucksvoll verkörperte?
„In seiner Form hat ‚Ein Glücksfall‘ eine etwas theatralische, künstliche Seite, aber hinter dem burlesken Anstrich und der kleinen bürgerlichen Geschichte verbirgt sich eine philosophische Reflexion über das Schicksal“, erläutert der äußerlich an Jack Nicholson erinnernde Akteur, „Was erwartet uns um die Ecke? Sind wir wirklich für unsere Entscheidungen verantwortlich? Hinter den Varieté-Auftritten steckt eine echte Tragödie. Es ist diese Tragikomödie, die das Genie von Woody Allen ausmacht. Man lacht bei ihm, ist aber auch bewegt, wie einst bei Charlie Chaplin oder Buster Keaton.“
Sollte „Ein Glücksfall“, der letzte Film vom körperlich kleinen, was sein umfangreiches Werk angeht, aber ganz großen Cineasten gewesen sein, was wir natürlich nicht hoffen, hätte er keinen besseren künstlerischen Abgang hinbekommen können. (Marc Hairapetian)